NEW ORLEANS
Die große LEICHTIGKEIT
The Big Easy nennen die Amerikaner New Orleans – und das völlig zu Recht. Die Stadt am Mississippi schwingt mit dem Jazz, den sie einst erfand.
Beide Bilder: © Stefan Nink
Er mixt den Sazerac, als präpariere er eine lebensrettende Medizin, sorgfältig, bedacht, mit einer Hingabe, als käme es auf jeden Tropfen an, als dürfe ihm ja kein Fehler unterlaufen. Zuerst den Whiskey, dann den Zucker, den Bitter, die Zitronenschale, am Ende benetzt er das Glas mit Absinth. Vorne, im purpurroten Dimmer der Bühnenbeleuchtung, poliert der Trompeter mit einem weißen Tuch sein Instrument, der Bassist zupft einen hingehuschten Lauf auf seinem Instrument.

Grüne Insel mitten in der Stadt: Der City Park
Es ist kurz vor 23 Uhr, 2020 oder 1979 oder 1954, und in diesem Moment passiert all das überall in der Stadt. Drinks werden zubereitet, Finger gelockert, Saiten gestimmt. Erwartung liegt in der Luft, ein Fiebern und jene unterschwellige Erotik, die den Jazz umgibt, seit er ein paar Straßenecken von hier entfernt erfunden wurde. Und überall in der Stadt wird es nicht mehr lange dauern, bis sich diese Energie entlädt und die Nacht beginnt und die Musik und das Leben. In New Orleans wurde der Jazz geboren, heißt es immer, aber wenn man wissen möchte, was das wirklich heißt: Dann muss man ihn hier gehört haben, den Jazz, in dieser Stadt. Und vielleicht ist das Irvin Mayfield Playhouse mit seiner beinahe intimen Atmosphäre tatsächlich der beste Ort für den ersten Abend am Mississippi.
Jazz-Musik – dieses Brennen im Herzen
Es ist ja nicht die Musik allein, die dem Jazz das Besondere verleiht; hinzu kommt immer auch das Unsichtbare, das ihn umgibt. Das Unausgesprochene, Unfertige, Allverheißende. Das Brennen im Herzen und die kleinen Schauer, die einem das Rückgrat hinaufspazieren. Und dass man manchmal glaubt, die Gedanken der Musiker lesen zu können. Ganz kurz, bevor sie sie bei ihren Soli zu Tönen formen. Manchmal ist Jazz etwas, das man nicht erklären kann. Manchmal ist Jazz Magie.
Ein früher French-Quarter-Morgen nach so einem späten Abend, ein, zwei Stunden, in denen die historischen Häuserblocks des ältesten Teils der Stadt ganz für sich sind. Hunde werden ausgeführt, Schläuche ausgerollt, Blumen gewässert, Bürgersteige gekehrt. Nachbarn plaudern miteinander, die Postbotin gähnt und sortiert ihre Briefe. In den Straßenzügen aus dem 18. Jahrhundert sieht New Orleans aus wie ein architektonisches Experiment aus Provence und Bahamas, mit den bonbonfarbenen Fassaden, den Gaslaternen, den schmiedeeisernen Balkonen und dem wuchernden Grün auf den Balkonen. Jedes zweite Haus preist seine glorreiche Vergangenheit auf kleinen Messingtafeln an. Wer das Old Ursuline Convent oder den Quadroon Ballroom besucht, bekommt die Ahnenreihe der Vorbesitzer ausführlich erklärt. Und natürlich erfährt man von sämtlichen Geistern und Gespenstern, die überall im Viertel herumspuken sollen. Seit damals, bis heute. Auch sonst ist New Orleans eine Stadt, wie es sie eigentlich nicht mehr geben dürfte in den USA, wo die Zeit ja normalerweise rast – und nicht herumtrödelt. Weder die großen Imbissketten noch die üblichen Verdächtigen aus der Mode- oder Elektronikbranche gibt es im French Quarter. Wer hier wohnt, kauft seine Lebensmittel in winzigen, bis unter die Decke vollgestopften Tante-Emma-Läden; wer zu Besuch kommt, shoppt in Boutiquen, die venezianisches Büttenpapier im Sortiment haben oder Secondhand-Kleider aus den Fünfzigern.
© Stefan Nink
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Cocktailtour durch New Orleans:
The Sazerac House, die rotierende Bar The Caroussel oder das Napoleon House – das sind meine liebsten Cocktailbars. Fragen Sie Ihren Barkeeper, Sie werden mehr als einen Tipp bekommen.
Leslie Straughan, New Orleans & Company
Mehr Insider-Tipps unter www.tui.com/new-orleans
New Orleans Cooking: Handkuss und Kalorien
Und natürlich ist überall Musik. In den Kneipen entlang der Bourbon Street spielt sie ab den Vormittagsstunden, anderswo im Quarter kann man spätestens ab Mittag Posaunisten auf Parkbänken zuhören oder Skiffle-Bands in Frühstückscafés. 99 Prozent der Besucher, heißt es, kommen wegen der Musik in den Big Easy. Der Rest hat sich verfahren. Was muss man sonst noch gesehen haben in New Orleans? Auf jeden Fall den Garden District, dort, wo sich die ersten amerikanischen Bürger der ehemals französischen Stadt ihre Villen erbaut haben. Den City Park mit seinen mächtigen alten Bäumen und dem berühmten New Orleans Museum of Art. Die Magazine Street mit ihren ungewöhnlichen Läden und Galerien. Und auch nach Bywater muss man, in jenes Viertel, aus dem der Spruch stammen könnte, nach dem New Orleans schöner auseinander fällt als jeder andere Ort auf der Welt. Die Holzhäuser dort sind in knallbunten Farben gestrichen, über den Straßen baumeln die Stromleitungen in wirren Knäueln, die Gehsteige werden von den Wurzeln der Bäume nach oben gebuckelt. Auffällig oft hängt der Geruch von Brathähnchen in der Luft.
Essen gehen muss man natürlich in New Orleans: Nach der Musik ist die Küche die zweite große Liebe der Menschen hier. Wenn man auf der amerikanischen Amazon-Seite „New Orleans Cooking“ eingibt, erhält man eine unfassbare Liste von 706 Kochbüchern. 706! Nun kann aber auch die Lektüre einer kompletten Bibliothek kein Abendessen in einem der klassischen New-Orleans-Restaurants ersetzen. Im Antoine‘s zum Beispiel, das seit 1840 existiert, seit einer Zeit also, in der im großen, weiten Rest des Kontinents abends noch Bohnen am Lagerfeuer gekocht wurden. Die Speisekarte hat sich seit dem Gründungsjahr kaum verändert: So gut wie alles hier – vom Crawfish Étouffée bis zum Bananas Foster – zeichnet sich durch einen nahezu grotesk hohen Kaloriengehalt aus. Die Kellner scheinen ihre Manieren übrigens ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert hinüber gerettet zu haben; Damen werden im Antoine‘s selbstverständlich mit angedeutetem Handkuss begrüßt. Die Kunst, die eigene Vergangenheit derart liebevoll zu konservieren, dass man den Eindruck hat, die Zeit sei stehen geblieben am Mississippi – diese Kunst beherrscht New Orleans perfekt.
Stefan Nink
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Stark gewürzt und heiß geliebt: New Orleans ist die Heimat der kreolischen Küche – das riecht man
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Open-Air-Jazz in der Bourbon Street
Wyndham French Quarter
Im Herzen des historischen Viertels gelegen. Es gibt einen Indoor-Pool und das „Ole Saint“, in dem Drinks und traditionelle Südstaatengerichte angeboten werden.


Maison Dupuy
Mittelklassehotel mit ganz eigenem Charme: Der ruhige Innenhof des Maison Dupuy ist der ideale Ort, um nach einem Streifzug durch das French Quarter zu entspannen.
Royal Sonesta New Orleans
Mitten im Leben: Das Royal Sonesta liegt direkt an der Bourbon Street mit all ihren Bars, Theatern und Jazz-Kneipen. Das Hotel bietet Erholung und hohen Komfort.
